20. Juli 2025
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Oberlandesgericht stoppt Stadtwerke-Strategie aus der Energiekrise

Gericht erklärt Vollmachts-Modell der Stadtwerke Castrop-Rauxel für unzulässig

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Hintergrund: Energiekrise 2022 führt zu ungewöhnlichem Schritt

Inmitten der Energiekrise 2022 hatten die Stadtwerke Castrop-Rauxel einen für viele Kundinnen und Kunden überraschenden Schritt unternommen. Angesichts explodierender Beschaffungskosten kündigte der lokale Versorger im November 2022 rund 4.000 Strom- und Gasverträge einseitig zum Jahresende. Diese betroffenen Haushalte rutschten daraufhin automatisch in die Ersatz- und Grundversorgung beim örtlichen Grundversorger E.ON – was zu jener Zeit sogar günstiger war als die Tarife der Stadtwerke. Mit diesem Schritt wollten die Stadtwerke ihre Kundschaft offenbar vor zu hohen Preisen schützen. Zugleich boten sie den Gekündigten jedoch eine Rückkehr-Garantie an: Dem Kündigungsschreiben lag eine vorformulierte Vollmacht bei, mit der die Kunden erlauben konnten, dass die Stadtwerke sie später automatisch wieder als Kunden zurückholen – nämlich dann, wenn das Stadtwerk wieder Preise unterhalb des E.ON-Grundversorgungstarifs anbieten könnte. Dieses außergewöhnliche Vollmachts-Modell sorgte seinerzeit für Aufsehen, bot es den Kundinnen und Kunden doch zunächst finanzielle Entlastung, wirft aber aus juristischer Sicht Fragen auf.


In der Praxis bedeutete das Modell: Wer die Vollmacht unterschrieb, überließ den Stadtwerken die Entscheidung, wann ein Rückwechsel zu ihnen erfolgt – faktisch eine Art „Blankoscheck“ für das Unternehmen, die Vertragsbeziehung in der Zukunft eigenmächtig wiederherzustellen. Gut die Hälfte der Betroffenen nutzte dieses Angebot: Über 2.000 Kunden unterschrieben die Vollmacht, während die übrigen sich eigenständig anderweitig orientierten. Als die Großhandelspreise für Energie Monate später wieder sanken, machten die Stadtwerke ernst mit ihrem Versprechen: Seit Anfang 2023 holten sie schrittweise die Kunden mit Vollmacht aus der E.ON-Grundversorgung zurück – sowohl im Strom- als auch im Gasbereich. Viele Castrop-Rauxeler Haushalte profitierten somit zunächst von diesem Vorgehen, indem sie während der Preisspitze vom günstigeren E.ON-Tarif profitierten und später automatisch wieder zu ihren Stadtwerken wechseln konnten, als dort die Preise wieder konkurrenzfähig wurden.


Erste Instanz: Landgericht Bochum sieht kein rechtswidriges Vorgehen

Das ungewöhnliche Vorgehen der Stadtwerke blieb jedoch nicht unwidersprochen. Der Energiekonzern E.ON – als Grundversorger unmittelbar betroffen, weil er plötzlich Tausende Neukunden aufnehmen musste – betrachtete die Aktion als unlauteren Wettbewerb und reichte Klage ein. Im Juni 2023 verhandelte das Landgericht Bochum den Fall und kam zu einem Ergebnis, das die Stadtwerke zunächst aufatmen ließ. Der Vorsitzende Richter machte bereits in der Verhandlung deutlich, dass er in dem Geschäftsgebaren des Stadtwerks keinen grundsätzlich unrechtmäßigen Verstoß erkenne. Insbesondere stehe die Vollmacht an sich nicht „am Pranger“, so das Gericht – allenfalls einzelne Formulierungen im Anschreiben könnten kritisch bewertet werden. Folgerichtig wies das Landgericht die E.ON-Klage schließlich vollständig ab.


Die Erleichterung in Castrop-Rauxel war entsprechend groß. Stadtwerke-Geschäftsführer Jens Langensiepen zeigte sich „außerordentlich“ erfreut über das Urteil und betonte, dass das Gericht im Sinne unserer Kundinnen und Kunden entschieden habe. Immerhin hätten über zweitausend Kunden dem Stadtwerk damals ihr Vertrauen geschenkt, und „wir haben sie nicht enttäuscht“, so Langensiepen weiter. Auch Castrop-Rauxels Bürgermeister Rajko Kravanja – zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke – stellte sich demonstrativ hinter die Entscheidung und das Vorgehen des kommunalen Energieversorgers. Das Urteil zeige, „dass die Stadtwerke, auch wenn sie einen ungewöhnlichen Weg gegangen sind, immer das Beste für ihre Kundinnen und Kunden im Blick hatten“, erklärte der Bürgermeister seinerzeit. E.ON hingegen zeigte sich unzufrieden und sprach trotz der Niederlage von einem weiterhin „unsauberem und wenig nachvollziehbarem“ Gebaren der Stadtwerke gegenüber den eigenen Bestandskunden. Gleichzeitig prüfte man beim Energiekonzern bereits die Möglichkeiten, Berufung gegen das Bochumer Urteil einzulegen.


Berufung in Düsseldorf: OLG rügt Vollmachts-Lösung als riskant für Verbraucher

E.ON gab sich mit der erstinstanzlichen Schlappe nicht zufrieden. Der Konzern legte Berufung ein, sodass die nächste juristische Runde vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf gespielt wurde. Am 17. Juni 2025 fiel dort die Entscheidung – und diesmal bekam E.ON Recht. In der mündlichen Verhandlung ließ der OLG-Senat keine Zweifel daran, dass er das Castrop-Rauxeler Vollmachts-Modell für unzulässig und gefährlich hält. Nach Informationen von Prozessbeteiligten vertraten die Richter die Ansicht, dass dieses Vorgehen gegen grundlegende Prinzipien des Verbraucherschutzes verstoße. Konkret monierte das Gericht, dass es sich um ein sogenanntes In-sich-Geschäft handele: Die Stadtwerke handelten bei diesem Rückhol-Modell quasi in doppelter Rolle – sie kündigten zunächst als Lieferant den Vertrag und schlossen dann später als bevollmächtigter Vertreter der Kunden wieder einen Vertrag mit sich selbst. Die Preissetzung lag dabei allein in der Hand des Stadtwerks, ohne dass bei der Reaktivierung der Verträge eine ausdrückliche Zustimmung der Kunden eingeholt werden musste. Aus Sicht des Gerichts ging von dieser Konstruktion eine erhebliche Missbrauchsgefahr aus, weil wichtige Verbraucherschutz-Vorschriften umgangen würden. Verbraucherschutz dürfe nicht als „Mittel zum Zweck“ rein zum eigenen wirtschaftlichen Nutzen ausgelegt werden – so die klare Botschaft aus Düsseldorf.


Selbst die offene Unterstützung durch die Stadtspitze geriet in die Kritik: Das OLG rügte laut E.ON-Angaben ausdrücklich, dass der Bürgermeister als Aufsichtsratschef der Stadtwerke das umstrittene Vorgehen öffentlich gutgeheißen hatte. Die deutliche Haltung des Gerichts zeigte Wirkung. Noch im Termin haben die Stadtwerke Castrop-Rauxel auf das Signal der Richter reagiert und die Berufungsklage im Wesentlichen anerkannt, wie beide Seiten im Anschluss bestätigten. Damit war das Verfahren faktisch beendet – der lange Streit endete mit einem Erfolg für E.ON. Das Oberlandesgericht untersagte die Vollmachts-Lösung der Stadtwerke und stellte sich schützend vor die Verbraucherinnen und Verbraucher.


Die Branchenzeitung ZfK brachte die Entscheidung mit einem prägnanten Satz auf den Punkt: „Kunden abgeben und später per Vollmacht zurückholen? So nicht, sagt das OLG Düsseldorf – und rügt die Stadtwerke Castrop-Rauxel.“ Damit ist klar: Ein Modell wie das der Stadtwerke Castrop-Rauxel, Kunden erst kurzfristig abzugeben und sie via Vollmacht bei besseren Preisen wieder einzusammeln, wird von der Rechtsprechung nicht toleriert.


Reaktionen: E.ON jubelt über Sieg, Stadtwerke akzeptieren Entscheidung

Nach dem Berufungsurteil zeigten sich die beiden Parteien erwartungsgemäß sehr unterschiedlich gestimmt. Für E.ON ist das OLG-Urteil ein voller Erfolg, den der Energiekonzern auch offensiv kommunizierte. „Das Gericht erteilt der Vollmachtslösung der Stadtwerke Castrop-Rauxel damit eine deutliche Absage“, erklärte eine E.ON-Sprecherin unmittelbar nach der Entscheidung. Man fühle sich in der eigenen Haltung bestärkt, dass solcher „unsauberer Wettbewerb“ weder dem Markt noch den Kunden helfe. E.ON betonte, dass Zuverlässigkeit und Fairness gegenüber den Kunden oberste Priorität hätten – Werte, die sich gerade in der Krise bewährt hätten, als man binnen kurzer Zeit abertausende von Notfallkunden übernommen habe. „Wir fühlen uns durch diese Einschätzung des Gerichts in unseren Werten bestärkt“, kommentierte E.ON-Energie-Deutschland-Chef Filip Thon und unterstrich, dass Verbraucherschutz kein Lippenbekenntnis sein dürfe. In Castrop-Rauxel nahm man das Urteil hingegen gefasst auf. Die Stadtwerke bestätigten offiziell, dass das Gericht der Klägerin E.ON in den wesentlichen Punkten Recht gegeben habe und ließen verlauten, man akzeptiere das Ergebnis. Auf ausführliche Jubel- oder Rechtfertigungstöne verzichtete die kommunale Seite nach der Niederlage. Bereits während des Verfahrens hatte das Stadtwerk jedoch stets betont, aus Verantwortung für die Kunden gehandelt zu haben und nur aufgrund der extremen Marktlage zu diesem außergewöhnlichen Mittel gegriffen zu haben. Diese Sichtweise fand nun vor Gericht letztinstanzlich keinen Bestand.


Warum entschied das OLG anders als das Landgericht?

Das unterschiedliche Ergebnis in erster und zweiter Instanz wirft die Frage auf, warum das Oberlandesgericht zu einer völlig anderen Bewertung kam als noch das Landgericht Bochum ein Jahr zuvor. Der entscheidende Unterschied lag offenbar in der juristischen Würdigung des Vollmachts-Modells. Während das Landgericht das Verhalten der Stadtwerke primär unter dem Aspekt des Wettbewerbsrechts betrachtete und hier keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Unlauterkeit sah, stellten die Richter in Düsseldorf stärker auf den Verbraucherschutz und die zivilrechtlichen Risiken der Vollmacht ab. Das Landgericht hatte betont, dass die Kunden die Vollmacht freiwillig unterschrieben hätten und unmittelbar von niedrigeren Preisen profitierten. Aus dieser Perspektive erschien das Vorgehen als pragmatische Lösung in einer Notlage, zumal kein Kunde letztlich geschädigt wurde. Das Oberlandesgericht hingegen blickte auf die grundsätzliche Konstruktion des Modells und erkannte darin unabhängig vom Einzelfall einen potenziellen Missbrauchstatbestand. Insbesondere die Umgehung des sonst üblichen Zustimmungserfordernisses bei Vertragsabschlüssen stieß auf Kritik. Eine derart weitreichende Vollmacht, mit der ein Anbieter Kunden quasi automatisch „zu sich selbst zurückbuchen“ kann, wenn es ihm wirtschaftlich passt, stellte für das OLG einen unzulässigen Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher dar. Damit gewannen im Berufungsverfahren die verbraucherschutzrechtlichen Bedenken die Oberhand über die wettbewerbsrechtliche Betrachtung.


Für die Bürgerinnen und Bürger in Castrop-Rauxel mag das Urteil auf den ersten Blick zwiespältig erscheinen. Einerseits hatten die Stadtwerke mit ihrem kreativen Ansatz vielen Kunden kurzfristig finanziell geholfen. Andererseits macht das OLG-Urteil deutlich, dass selbst gut gemeinte unkonventionelle Lösungen Grenzen im Recht finden, wenn sie grundlegende Verbraucherschutzprinzipien verletzen. Durch das Urteil vom 17. Juni 2025 ist nun geklärt, dass eine solche Vollmachtsregelung unzulässig ist. Die Entscheidung dient als wichtige Richtschnur für die Energiewirtschaft: Kunden müssen geschützt werden, damit Übergangslösungen in Krisenzeiten nicht zur Hintertür für potenziellen Missbrauch werden. Die Stadtwerke Castrop-Rauxel haben aus diesem juristischen Nachspiel ihre Lehren gezogen – und die betroffenen Castrop-Rauxeler wissen nun, dass ihr Vertrauen in Krisenzeiten zwar honoriert wurde, am Ende aber die Einhaltung der Regeln zum Schutz der Verbraucher das oberste Gebot bleibt.


  • Quelle(n):

Autor

Nils Bettinger

Nils Bettinger

Gründer und Redaktionsleiter.
Hält den Kopf für alles hin.

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